Presse/News | Einkaufsstraßen und Einkaufszentren stehen vor radikalem Wandel

  • Online-Konkurrenz und verändertes Konsumverhalten setzen Traditionsbranchen stark unter Druck  
  • Entertainment, Gastronomie und Dienstleistungen übernehmen zunehmend frühere Einzelhandelsflächen 
  • Zukunftsorientierte Stadtplanung spielt Schlüsselrolle für die Erhaltung funktionierender, lebendiger Einkaufszonen

Wien, 7.11.2019 – Selten hatte das Bonmot „Handel ist Wandel“ so große Berechtigung wie vor dem Start des Weihnachtsgeschäfts 2019. Die kontinuierlich stärker werdende Konkurrenz durch den Onlinehandel und ein spürbarer Wandel des Konsumverhaltens setzen gerade die früheren Wachstumsmotoren des filialgebundenen Einzelhandels erheblich unter Druck. Infolgedessen werden nicht nur Expansionspläne radikal gekürzt, vielmehr werden auch bestehende Netze ausgedünnt oder Filialen verkleinert.  

„Wir erleben derzeit keine graduellen Veränderungen, sondern den Beginn eines Umbruchs. Wenn dieser abgeschlossen ist, werden traditionelle Einkaufsstraßen, Einkaufs- und Fachmarktzentren ein völlig anderes Gesicht haben als jetzt“, erklärt Michael Ehlmaier, Geschäftsführer des stark bei Einzelhandelsimmobilien engagierten Immobiliendienstleisters EHL Immobilien bei einem gemeinsamen Pressegespräch des auf Einzelhandel spezialisierten Beratungsunternehmens Regioplan und von EHL Immobilien. „Immobilienwirtschaft und Handel haben Konzepte und Strategien entwickelt, um den grundlegend neuen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen, aber nur die Standorte, an denen diese konsequent und rasch umgesetzt werden, werden auch in Zukunft erfolgreich bleiben. 

Aktuelle RegioPlan-Zahlen lassen tiefgreifende Neuordnung der Handelslandschaft erwarten

„Wenn wir über Handel diskutieren, ist Onlinehandel das absolute Schlüsselthema, denn das Internet verändert maßgeblich, wo und wie die Kunden kaufen“, erklärt Wolfang Richter, Gründer und Geschäftsführer von RegioPlan Consulting. Der Trend lässt sich deutlich ablesen: Seit fünf Jahren geht die Verkaufsfläche – ausgenommen im Lebensmittelhandel – jährlich um ca. zwei Prozent zurück.  

Betroffen sind nicht mehr nur B- oder C-Lagen, sondern auch die stärksten Handelszonen. Die Expansionslust der Einzelhändler ist ebenso stark zurückgegangen. Waren es noch vor wenigen Jahren viele Unternehmen, die sich um die besten Standorte gestritten haben, expandieren im Moment nur wenige und dies vorwiegend im Diskontbereich.  

„Während noch vor wenigen Jahren gute Shopping Malls Wartelisten für mögliche Handelsmieter hatten und in guten innerstädtischen Lagen sowieso keine leistbare Fläche verfügbar war, sehen wir im Moment, dass die Zahl der Mietinteressenten stark zurückgegangen ist“, so Richter. 

Auch innerstädtische Handelszonen bleiben nicht verschont

So sind innerstädtische Handelszonen mit bis zu 25 Prozent und mehr Leerstand keine Seltenheit mehr. Die Passantenfrequenzen in den Stadtkernen und innerstädtischen Handelszonen sinken aktuell im Durchschnitt um etwa vier bis sechs Prozent pro Jahr, was wiederum weniger Umsatz für die Geschäfte und dementsprechend mehr Leerstand zur Folge hat. Nur in wenigen Fällen können die steigenden Touristenfrequenzen die Lücken füllen.  

„Internet und periphere Einkaufszentren eröffnen längst andere Optionen und  die Kunden müssen nicht mehr in die innerstädtischen Handelszonen kommen. Die verantwortlichen Planer und Politiker, aber auch Geschäftsleute und Investoren müssen dafür sorgen, dass sie kommen wollen“, fordert Richter. „Der Tourismus hat vorgezeigt, wie viel man mit einer geänderten Einstellung gegenüber seinen Kunden erreichen kann: Menschen, die man als Kunden haben möchte, dürfen nicht länger als Umsatzspender und Steuerzahler gesehen, sondern sie müssen als Gäste betrachtet werden,“ 

Die geänderten Rahmenbedingungen erfordern jedenfalls neue Maßnahmen. Wenn die notwendigen Wege zum stationären Einzelhandel weniger werden, müssen neue „Attraktionen“ Anreize schaffen, Einkaufszonen zu besuchen. „Geschäfte werden ihre Funktionen ändern müssen, die Handelszonen und Innenstädte ebenfalls. Was es braucht, ist Wille und Macht und Wissen, etwas zu verändern“, betont Richter. 

Neue Retailkonzepte beleben städtische Einkaufszonen und starke Einkaufszentren

Ins selbe Horn stößt auch Mario Schwaiger, Leiter des Geschäftsbereichs Einzelhandel bei EHL. Die aktuelle Situation stelle zwar eine Herausforderung dar, dennoch sei er für die weitere Entwicklung der wichtigsten Retailstandorte sehr zuversichtlich: „Gerade in den zurückliegenden zwölf Monaten registrieren wir wieder mehr positive Signale, die zeigen, dass der Online-Schock überwunden ist.“  

Besonders positiv bewertet Schwaiger das zunehmende Interesse neuer internationaler Retailer an einer Expansion nach Österreich, von der in erster Linie Wien, aber auch Landeshauptstädte wie Salzburg, Graz, Innsbruck und Linz profitieren. Binnen zweier Jahre haben mehr als 20 Ketten den ersten Schritt nach Österreich gewagt. „Bei diesen ersten Schritten werden anfangs nur kleine Flächen angemietet, aber nach einer erfolgreichen Startphase wollen diese Unternehmen ihre Präsenz zügig ausweiten. Die Reduktion bestehender Filialnetze eröffnet diesen Newcomern Expansionsmöglichkeiten in besten Lagen und in einem Tempo, das vor wenigen Jahren noch kaum vorstellbar gewesen wäre.“ 

Neben der stärkeren Diversifikation der Filiallandschaft prognostiziert Schwaiger einige weitere gravierende Veränderungen in den heimischen Einkaufsstraßen und Einkaufszentren: 

  • Gastronomie boomt: Der Anteil von Restaurants und Lokalen, insbesondere der Systemgastronomie, an den gesamten Einzelhandelsflächen in guten Lagen wird sich in den kommenden zehn Jahren verdoppeln 
  • Einkauf & Entertainment: Unterhaltungsangebote werden zu einem unverzichtbaren „Must have“. E-Sports, Virtual-Reality, Sport und Fitness, etc. werden zum Standardangebot in guten Einkaufslagen.   
  • Service to go: Dienstleistungen wie insbesondere Gesundheitsangebote (Arzt, Physiotherapie, Massage, etc.) werden verstärkt in Einkaufszonen angeboten werden. Die Dienstleister profitieren von der hohen Frequenz („Frequenznutzer“), die Einzelhändler („Frequenzbringer“) von der längeren Verweildauer. Zusätzlich gibt es Zielgruppensynergien z. B. zwischen Gesundheitsdienstleistern und Shops mit Bioschwerpunkt.  
  • „Online goes offline“: Die Idee einer klassischen Filiale für ein online-Shop klingt zwar ein wenig wie das berühmte „WLAN-Kabel“, dennoch gewinnt dieses Konzept immer mehr an Bedeutung. Onlineshops werden verstärkt an prominenten Standorten mit Filialen präsent sein, damit Kunden Produkte ansehen oder testen können – was zählt, ist Imagebildung und Service, ob dann in der Filiale oder per Mausklick gekauft wird, ist egal.
  • Mehr und aufwendigere Allgemeinflächen: Insbesondere Einkaufszentren werden einen höheren Anteil ihrer Gesamtfläche für Nutzungen wie Kinderbereiche, Aufenthaltszonen, Eventbühnen etc. zur Verfügung stellen müssen.  

„Einkaufsstraßen sowie Einkaufs- und Fachmarktzentren stehen vor großen Herausforderungen und hohen Investitionen, aber die Sorge, dass die traditionellen Einkaufszonen der Online Konkurrenz zum Opfer fallen werden, ist völlig unbegründet“, beruhigt Schwaiger. „In Zukunft wird man für immer weniger Einkäufe aus dem Haus gehen müssen, aber attraktive Einkaufsstraßen und Einkaufszentren werden dafür sorgen, dass man trotzdem dorthin gehen will.